Diabetisches Fußsyndrom: Amputationen sind vermeidbar

05.09.2023
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Der Diabetes mellitus ist die häufigste Ursache für Amputationen an den unteren Extremitäten. Dabei kann eine rechtzeitige Therapie in qualifizierten Zentren viele Amputationen verhindern. Dafür ist ein regelmäßiger Fußcheck durch spezialisierte Podologinnen notwendig.

So sind Kenntnis und Verständnis des multifaktoriellen Krankheitsbildes Diabetisches Fußsyndrom (DFS) essenziell, um bereits ein Erstulkus effektiv zu vermeiden. Nationalen wie internationalen Ergebnissen zufolge lassen sich durch eine frühzeitige, strukturierte und interdisziplinär abgestimmte Behandlung maßgeblich komplizierte Verläufe und letztendlich unnötige Amputationen verhindern.

Nach verfügbaren Versichertendaten liegt die Prävalenz für das DFS in der BRD bei 6,2–10 %. Demnach befinden sich ungefähr 600 000 Patientinnen und Patienten jedes Jahr in Deutschland wegen eines aktiven DFS in Behandlung. Etwa 70 % aller Major-Amputationen, das heißt auf Höhe von Unterschenkel, Knie oder Oberschenkel beziehungsweise oberhalb der Sprunggelenke, werden bei Menschen mit Diabetes durchgeführt – circa 8 500 hohe Amputationen pro Jahr. Mehr als 85 % aller Minor-Amputationen, das heißt unterhalb der Sprunggelenke, betreffen Menschen mit Diabetes – etwa 30 400 pro Jahr. Neben den teils dramatischen Folgen für jeden Einzelnen sind das nicht zuletzt auch erhebliche Kosten für das Gesundheitssystem.

Risiken kennen und verstehen
Warum sind gerade Personen mit Diabetes mellitus offensichtlich so amputationsgefährdet? Beim DFS handelt es sich um ein multifaktorielles Geschehen, das sich auf dem Boden einer diabetischen Polyneuropathie (PNP) entwickelt. In etwa der Hälfte der Fälle kommt erschwerend eine klinisch relevante periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) hinzu. Während beim Gesunden schmerzreflektorische Schutzreflexe automatisch zu Schonhaltungen führen, gehen im Zuge der sensorischen Neuropathie die Empfindungen für Schmerz, Druck und Temperatur verloren. Der Verlust dieser schützenden Wahrnehmungen ist es vor allem, der diese Patientinnen und Patienten so gefährdet.

Entscheidend für die Vermeidung von Amputationen ist es, bereits das Erstulkus zu verhindern. Um das zu erreichen, ist die frühzeitige Identifikation von Risiko- und Hochrisikofüßen im Rahmen der regelmäßigen Fußuntersuchungen essenziell. Sie müssen erfahren, was es für sie bedeutet, wenn sich in der schon seit mehreren Jahren durchgeführten Untersuchung erstmals ein ausgefallenes Druck- oder Temperaturempfinden feststellen lässt, unter anderem:

– Nicht mehr barfuß oder nur in Strümpfen laufen
– Keine unkontrollierten Wärmequellen nutzen
– Schuhe nicht nach Gefühl, sondern nach Ausmessen und objektiver Kontrolle kaufen
– Schuhe nicht einfach nur anziehen, sondern regelmäßig vor dem Anziehen durch Umdrehen und Durchfahren mit der Hand prüfen, ob nicht etwa unbemerkt ein Fremdkörper im Schuh steckt

Idealerweise werden die Füße, die jetzt als Risikofüße für die Entwicklung eines aktiven DFS einzustufen sind, von nun an täglich inspiziert. Bestenfalls übernimmt ein Familienmitglied die regelmäßige zusätzliche Fremdkontrolle.

Eine frühzeitige Behandlung mit definierten Behandlungspfaden vermag die Amputationsrate signifikant zu reduzieren. Alle Menschen mit einem (aktiven) Diabetischen Fußulkus sollten daher an ein multidisziplinäres Fußbehandlungsteam verwiesen werden – und zwar ohne Verzögerung!

Das DFS ist die häufigste Ursache für Amputationen oberhalb des Sprunggelenks in Deutschland – verbunden mit einem hohen Mortalitätsrisiko und einem hohen Ressourcenverbrauch. So ist einer Metaanalyse zufolge mit einer 5-Jahres-Mortalität bedingt durch einen Charcot-Fuß von 29,0 % zu rechnen. Die entsprechenden Angaben für ein Diabetisches Fußulkus (DFU), Amputationen mit Teil-Fußerhalt (minor) und Amputationen ohne Fußerhalt (major) liegen noch höher: bei 30,5, 46,2 beziehungsweise 56,6 %. Im Zusammenhang mit einer DFS-bedingten hohen Amputation wird demnach mehr als die Hälfte der Betroffenen nach 5 Jahren nicht mehr leben. Neben dem leidvollen Schicksal des Einzelnen bedeutet die Versorgung dieser gefürchteten Komplikation des Diabetes enorme Belastungen für das Gesundheitssystem.

Obwohl es grundsätzlich das Ziel ist, Amputationen zu vermeiden, und zudem zweifelsfrei gezeigt wurde, dass die frühzeitige Behandlung die Zahl an Amputationen, minor wie major, signifikant zu reduzieren vermag, kann im Einzelfall auch eine (hohe) Amputation im Sinne des Behandlungsziels die bessere Therapieentscheidung sein. Zum einen ist hierbei, im Sinne einer partizipativen Entscheidungsfindung, stets der (gegebenenfalls mutmaßliche) Patientenwunsch zu berücksichtigen.

Versorgung sicherstellen
Für alle Menschen mit Diabetes sollte unabhängig von der Region in der sie leben, eine ambulante sowie stationäre spezialisierte Versorgung angeboten und sichergestellt werden.

Bemühungen um den Erhalt einer Extremität bedürfen oftmals auch ein deutliches Mehr an Zeit. Aus rein finanziellen Aspekten „lohnt“ sich eine frühzeitige hohe Amputation für ein Krankenhaus mehr, als aufwendige, ressourcenverbrauchende Maßnahmen zum Beinerhalt mit langer Verweildauer. Diese (finanziellen) Fehlanreize müssen dringend korrigiert werden. So fordert die AG Diabetischer Fuß der DDG, dass die qualitätssichernden Maßnahmen im DMP Diabetes Relevanz im Vergütungssystem bekommen.

Folgende Schlussfolgerungen können gezogen werden:
– Regelmäßige Fußchecks bei Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus
– Frühzeitige Weiterleitung an eine spezialisierte Fußbehandlungseinrichtung
– Abgestimmtes, strukturiertes interdisziplinäres und interprofessionelles Behandlungskonzept (IRBESA-PP)
– Förderung der Zweitmeinung vor Amputationen bei DFS
– Implementierung einer qualitätssichernden Komplexpauschale DFS

Herzliche Grüße
Ihr Team der podologie heringsdorf

Quelle: www.aerzteblatt.de, Dr. med. Michael Eckhard, Univ. Diabeteszentrum Mittelhessen am Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Gießen, Gesundheitszentrum Wetterau, Diabetesklinik Bad Nauheim gGmbH

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