Eine Extrasteuer auf zuckergesüßte Getränke, ähnlich wie in Großbritannien oder Mexiko, würde in Deutschland dazu führen, dass Erwachsene jeden Tag weniger Zucker zu sich nehmen würden.
Es gäbe weniger Fälle von Typ-2-Diabetes, der koronaren Herzkrankheit (KHK), weniger Schlaganfälle und es ließen sich Milliarden Euro einsparen. Das sind die Ergebnisse einer Modellierungsstudie der TU München, die jetzt in PLOS Medicine veröffentlicht wurden. Viele weit verbreitete Krankheiten wie Adipositas, Typ-2-Diabetes, KHK und auch manche Krebserkrankungen lassen sich auf einen erhöhten Konsum von Zucker zurückführen. Die WHO plädiert für eine Steuer auf zu¬ckergesüßte Getränke mit dem Argument, dass gerade Limonaden und andere Softdrinks für den Überkonsum von Zucker verantwortlich seien.
In Deutschland gibt es bislang keine derartige Steuer, nur freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie. Aber mehr als 100 Länder haben bereits verschiedene Arten der Zuckersteuer eingeführt.
In Großbritannien gibt es seit 2018 die „Soft Drinks Industry Levy“, eine gestaffelte Steuer, die die Hersteller von zuckergesüßten Getränken zahlen müssen. Ab 5 Gramm Zucker pro 100 Millilitern müssen 18 Pence (umgerechnet 21 Cent) pro Liter gezahlt werden, ab 8 Gramm Zucker 24 Pence.
Mexiko verfolgt ein anderes Modell der Zuckersteuer: Seit 2014 werden zuckergesüßte Getränke um circa 10 % besteuert, sodass die Getränke teurer und dadurch seltener gekauft werden.
Politik sollte die Größenordnung möglicher Gewinne kennen
„Diese neue Studie zeigt für Deutschland so umfassend wie noch nie die Größenordnung der gesundheitli¬chen Gewinne für die Bevölkerung und der finanziellen Gewinne für die Volkswirtschaft aus einer verringer¬ten Zahl von Adipositas-, Herz- und Typ-2-Diabetes-Erkrankungen sowie Schlaganfällen, die eine klug gestal¬te¬te Zuckersteuer herbeiführen könnte“, sagte Michael Stolpe, Leiter des Projektbereichs Globale Gesundheits¬ökonomie am Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. „Die Größenordnung dieser gesundheitlichen und finan-ziellen Gewinne sollte die Politik kennen.“
Erstautor Karl M. F. Emmert-Fees und seine Kollegen untersuchten nicht nur, wie sich eine Steuer auf zucker¬ge¬süßte Getränke in Deutschland auf die Gesundheit von Erwachsenen im Alter von 30-90 Jahren auswirken würde. Sie modellierten auch die möglichen wirtschaftlichen Konsequenzen. Dafür spielten sie unterschiedliche Versteuerungsszenarien durch. Entweder werden die zuckergesüßten Getränke selbst um 20 % besteuert, wodurch diese weniger gekauft werden – ähnlich wie in Mexiko. Oder Unternehmen werden durch eine gestaffelte Steuer dazu angehalten, den Zuckergehalt in den Getränken zu reduzieren – nach dem Vorbild von Großbritannien.
Jüngere Menschen trinken viel mehr zuckergesüßte Getränke
Die Beschränkung auf Erwachsene im Alter ab 30 Jahren ist für Hans Hauner, Direktor des Else-Kröner-Fre¬se¬nius-Zentrums für Ernährungsmedizin, Technische Universität München, eine große Einschränkung der Studie.
„Die Hauptgruppe der Konsumenten zuckergesüßter Getränke – Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene – ist in dieser Analyse nicht enthalten“, sagt er. „Für Stichproben im Alter unter 30 Jahren liegen aber in Deutsch¬land keine geeigneten Daten vor.“
Tatsächlich trinken Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Schnitt täglich 300-700 Milliliter zucker¬gesüßte Getränke, und damit das 5- bis 10-Fache des Konsums von Menschen im Alter über 30 Jahren. „Diese Gruppe muss genauso mit gesundheitlichen Konsequenzen des hohen Zuckerkonsums rechnen. Die zucker¬bedingten Zusatzbelastungen und -kosten dürften ungleich höher sein als für ältere Menschen“, so Hauner. Vor diesem Hintergrund würden die tatsächlichen Folgen des hohen Zuckerkonsums und eventueller Besteu¬erungsaktivitäten für die deutsche Bevölkerung eher deutlich unterschätzt, vermutet der Ernährungsmedi¬ziner.
Mögliche Vorteile von zwei Besteuerungsmodellen
Die Ergebnisse der Modellierungen zeigten, dass bei einer Besteuerung zuckergesüßter Getränke (ohne Saft) über die nächsten 20 Jahre
* erwachsene Personen 1 Gramm Zucker pro Tag weniger zu sich nehmen,
* 132.100 Typ-2-Diabetes-Erkrankungen verhindert,
* 39.200 KHK-Fälle vermieden,
* 1.900 Schlaganfälle verhindert,
* 31.600 Fälle von Adipositas vermieden und
* etwa 9,6 Milliarden Euro im Gesundheits- und Sozialwesen eingespart würden.
Bei der gestaffelten Steuer für Unternehmen würden sogar
* 2,34 Gramm weniger Zucker pro Tag konsumiert,
* 244.100 Typ-2-Diabetes-Erkrankungen verhindert,
* 69.800 KHK-Fälle vermieden,
* 3.400 Schlaganfälle verhindert,
* 72.300 Fälle von Adipositas verhindert und
* circa 16 Milliarden Euro eingespart werden.
„Eine Reduktion des Zuckerverbrauchs um wenige Gramm pro Person klingt nicht nach viel – rein statistisch liegt der Zuckerkonsum in Deutschland bei täglich etwa 95 Gramm pro Kopf“, räumte Seniorautor Michael Laxy ein. „Dabei muss man aber bedenken, dass es innerhalb der Bevölkerung große Unterschiede beim Konsum von Softdrinks gibt. Manche Menschen trinken sie in größeren Mengen, andere dafür nie. Entsprechend stärker wäre die Verringerung des Zuckerkonsums für die Menschen, die viel Softdrinks konsumieren.“
Zuckersteuer ist „der deutschen Politik zu empfehlen“
Deshalb lautet die Schlussfolgerung der Autoren: Eine Steuer auf zuckergesüßte Getränke könnte in Deutsch¬land die nationale Belastung durch nicht übertragbare Krankheiten reduzieren und der Gesellschaft eine er¬hebliche Menge an Kosten ersparen. Eine gestaffelte Besteuerung, die die Reduktion des Zuckergehalts in den Limonaden fördern soll, könnte dabei einen stärkeren Effekt haben als eine Steuer, die das Konsumverhalten durch erhöhte Preise verändern soll. Gesundheitsökonom Stolpe schlussfolgert aus diesen Ergebnissen ganz ähnlich, dass „die Einführung einer Zuckersteuer wirksam und der deutschen Politik zu empfehlen ist“. Darüber hinaus könnten Werbeverbote, wie sie für Zigaretten eingeführt wurden, helfen, den Zuckerkonsum zu verringern.
Weitere Maßnahmen gegen Ausweichphänomene nötig
Er warnt aber auch vor unerwünschten Nebenwirkungen einer Zuckersteuer nur auf Getränke. „Eine isolierte Besteuerung zuckerhaltiger Getränke könnte mittelfristig zu einem verstärkten Konsum zuckerhaltiger Snacks und anderer nicht-flüssiger zuckerhaltiger Lebensmittel führen“, sagt er. „Gewinnorientierte Unternehmen der Lebensmittelindustrie könnten zudem das Marketing solcher zuckerhal¬tiger Alternativen verstärken. Dies könnte mittel- bis langfristig dazu beitragen, dass der Pro-Kopf-Konsum von Zucker weniger stark sinkt oder dass es sogar eine Art Rebound-Effekt gibt.“
Auch Ernährungsmediziner Hauner geht davon aus, dass es „Ausweichphänomene“ geben würde. Möglicher¬weise müssten auch süßstoffgesüßte ähnlich wie zuckergesüßte Getränke extra besteuert werden – in eini¬gen Ländern wird das bereits gemacht. Ähnliches gilt für zuckerhaltige Lebensmittel. Hauner betont aber auch, dass es „durchaus Evidenz aus Regio¬nen gibt, in denen eine Zuckersteuer eingeführt wurde und in denen der Zuckerkonsum insgesamt gesunken ist“.
„Ob eine Besteuerung von Softdrinks für Deutschland sinnvoll ist, muss die Politik entscheiden“, sagte Laxy. „Wir wollen mit unserer Studie sachliche Argumente für diese Debatte liefern. Unsere Studie zeigt, dass eine Abgabe beziehungsweise eine Steuer auf gezuckerte Getränke eine relevante Maßnahme zur Prävention von Übergewicht, Diabetes und Herzerkrankungen darstellt.“ © nec/aerzteblatt.de
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Ihr Team der podologie heringsdorf
Quelle: www.aerzteblatt.de